Tahsin hat die Audio-Aufnahmen mit Tomas im Irak ins Deutsche übersetzt. Hier der erste Teil:

Thomas Geschichte, Audio Nr. 2

Farbe Gelb ist für Fragen und Anmerkungen

Bei Farbe Grün: bin ich mir noch nicht sicher, ob es so richtig ist oder ob ich es doch ändere.

Schonmal als Info: bei diesem Teil der Geschichte habe ich mich mehr getraut und mir erstmal alles erlaubt. Habe einen neuen Schreibstill ausprobiert und dazu meine Fragen, Gedanken, Perspektiven und Weltansichten mitreingebracht. Dennoch habe ich auch die Nachteile, die DADRUCH entstehen können, in Gelb markiert. Obwohl ich diesen Teil sehr gerne geschrieben habe, muss ich trotzdem sagen, dass ich ihn noch nicht verarbeitet habe. Mir fällt es schwer, mich in Thomas Situation hineinzuversetzen oder anders gesagt: ich habe es immer noch nicht ganz verstanden, warum Thomas so viele gefährliche Taten macht. Dazu habe ich viele Fragen in Geld markiert. Aber eine Sache muss ich unbedingt sagen: Thomas ist wirklich sehr mutig! Das zeigt er durch seine Taten. Höchstwahrscheinlich hatte Thomas in dieser Zeit Depressionen und wollte sie mit seinen Taten rauslassen, vielleicht die Frust auch. Das ist eine banale und krasse Vermutung von mir

Hätte ich den anderen Daesh-Männern gesagt, dass Mohammed raucht, hätten sie ihm direkt zwei Finger abgeschnitten. Trotzdem warnte mich meine Schwester davor. Doch ich hörte auf sie nicht. Ich war ein wildes Kind und wollte einfach alles machen, ohne zu wissen, welche Konsequenzen das mit sich bringt. Die Daeshs kamen immer wieder und suchen weiterhin Frauen, Jugendliche und Kinder. Für mich war das nicht nur gefährlich, sondern auch langweilig. Weil ich das fast Jeden Tag erlebte. Es gab nicht neues, worauf ich mich freute. Es waren immer dieselbe Menschen, dieselbe Routine, dasselbe Dorf, dieselben Reaktionen.

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Saeeds Text zur Lesung im Rahmen der ÜBER-SETZEN-Performance am 18./19. September auf dem Neckar.

Nach ungefähr einer Woche rief der Schleuser Tahsin an und sagte, es sei Zeit loszugehen. Am nächsten Tag machten wir uns auf den Weg nach Istanbul. Wir verabschiedeten uns von den anderen Familien – und von meiner Oma. Sie würde zurück in den Irak gehen, weil sie nun hier in der Türkei niemanden mehr hatte. Wir küssten ihre Hand und sie küsste unsere Köpfe. Wir wussten, wir würden uns jahrelang nicht wiedersehen. Wir beteten gegenseitig für die Auswanderer, um gut ans Ziel zu kommen und wünschten uns viel Glück. Unsere Gruppe bestand aus zwölf Leuten.

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Saeed Melhem anlässlich der Projektvorstellung am 4. August 2021 im Württembergischen Kunstverein Stuttgart.

Mein Name ist Saeed Melhem, ich bin zwanzig Jahre alt und habe meine erste Flucht nach Deutschland im August 2014 gestartet. Auf der Flucht mit meinen beiden Verwandten ist meine Cousine ertrunken und mein Cousin ist verschollen. Meine zweite Flucht hat sieben Monate gedauert und hat mich durch die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn geführt. Bis ich Ende 2016 in Deutschland angekommen bin.

Als ich hier ankam, waren die Turnschuhe, die ich in der Türkei gekauft hatte, total abgelaufen. Ich habe sie weggeschmissen. Ich bin quasi mit nichts hier angekommen. Da ist mir klar geworden, dass von meiner Geschichte und von den Geschichten all der andern, die vor dem Daish geflohen sind, nichts übrigbleiben wird. Aber es muss doch etwas bleiben, dachte ich, etwas Eigenes. „Wer schreibt, der bleibt“ heißt es im Deutschen. Ich wollte meine Geschichte aufschreiben. Ich wollte ein Buch daraus machen. Denn Bücher bleiben.

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Über-Setzen

Übersetzen – über einen Fluss ans andere Ufer und von einer Sprache in eine andere. Je nach Betonung bekommt das Verb eine andere Bedeutung und meint am Ende doch dasselbe. Auf dieser ambivalenten Semantik des Übersetzens balanciert dieses Unterfangen zwischen den Fluchterfahrungen junger Jesidinnen und Jesiden und ihrer literarischen Aufarbeitung in Deutschland. So, wie aus den Flüchtlingslagern in irakisch Kurdistan überzusetzen ist nach Deutschland, um in Sicherheit und Freiheit zu leben, so muss vom Kurdischen ins Deutsche übersetzt werden, um in einer großen Literatursprache anzukommen.
Ausgehend von der mehrmonatigen Zusammenarbeit mit Saeed M., der als Sechzehnjähriger nach Deutschland kam und nun angefangen hat, seine siebenmonatige Odyssee aufzuschreiben, ist die Idee zu „Pfauenfedern“ entstanden. Durch sein Engagement in der jesidischen Community konnten inzwischen weitere junge Menschen für das Projekt interessiert werden. Mit offenen Schreibwerkstätten, Stipendien und einer digitalen Plattform wollen wir diesen Menschen helfen, ihre Geschichten ins Deutsche zu übersetzen, um damit den Erfahrungen von Verfolgung, Flucht und Exil einen kulturellen Aufbewahrungsort zu geben.
Das Einzigartige und Besondere an „Pfauenfedern“ ist, dass es bislang gar keine jesidische Literatur gibt und sich hier erstmals einige Angehörige dieses kleinen Volkes in der Diaspora der Autorschaft bemächtigen.